Das Tamagotchi-Gefühl

Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen beim Unternehmerfrauen-Forum der Volksbanken und Raiffeisenbanken

Ein Bericht von Sabrina Erben, erschienen in der Esslinger Zeitung am 05.04.2017

Esslingen - Da steht er und reckt eine kleine rote Kugel in die Höhe. Verwirrung macht sich im Publikum breit. Was macht der Mann da?, fragen sich wohl die meisten der 550 Frauen im Neckar Forum. „Na, kennen Sie das noch?“, werden die Zuschauerinnen gefragt. Und dann fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen: O weh, ein Tamagotchi. Für diejenigen unter uns, die es verdrängt haben: Das ist ein virtuelles Küken, um das man sich vom Zeitpunkt des Schlüpfens an kümmern muss. Populär vor allem in den 90er-Jahren. Bei nachlassender Aufmerksamkeit stirbt das Küken. „Das Tamagotchi-Gefühl ist nach wie vor mächtig“, sagt Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler der Universität Tübingen, am Montagabend beim jährlichen Unternehmerfrauen-Forum der Bezirksvereinigung der Volksbanken und Raiffeisenbanken im Landkreis Esslingen. Bereits zum siebten Mal findet die Veranstaltung statt, diesmal unter dem Motto: „Ladies first - ein Abend unter Freundinnen“ im Esslinger Neckar Forum.

Smartphone, Laptop und Tablet sind mittlerweile fester Bestandteil des Alltags. Was macht man mit dieser Flut an digitalen Informationen? Dieser Frage geht Pörksen bei seinem Vortrag „Wie die digitale Kommunikation unser Leben verändert“, auf den Grund. „Das Thema Kommunikation war nie spannender“, sagt Heinz Fohrer, der Vorsitzende der Bezirksvereinigung, zur Begrüßung. Das Vorstandsmitglied der Volksbank Esslingen erzählt von seiner Fahrt zur Arbeit am Morgen: „Ich fuhr an einer Bushaltestelle vorbei, da standen jede Menge Schulkinder mit gesenkten Köpfen. Die Augen stur auf das Smartphone gerichtet.“ Die Aufmerksamkeit, die damals das Tamagotchi verlangte, bekommt heute das Smartphone. Das sei auf den ersten Blick nicht negativ, so Pörksen, habe aber gravierende Auswirkungen auf unsere Konzentrationsfähigkeit. Jeder Blick auf das Handy, jeder E-Mail und jedes Einloggen in Facebook unterbricht den Menschen bei einer anderen Tätigkeit. „Um auf dasselbe Konzentrationslevel wie vor der Unterbrechung zu kommen, benötigt man bis zu 20 Minuten“, sagt Pörksen. Und er nimmt dann auch gleich die Illusionen zum Thema „Multi-Tasking“. Das sei ein „Bullshit“-Begriff. Es funktioniere nicht. Das Gehirn verarbeitet die Reize nicht parallel, sondern hintereinander. Es sei „Task-Switching“.

„Konnektivitäts-Sehnsucht“

Aber warum tut sich der Mensch das an? Den Drang, immer Empfang zu haben und empfangsbereit zu sein, nennt Pörksen die „Konnektivitäts-Sehnsucht“. 300 Zeitungen und 250 Bücher erscheinen laut Pörksen täglich in Deutschland: „Wir sind reich an Informationen, unsere Aufmerksamkeit ist aber begrenzt.“ Der Wissenschaftler entlässt die Zuschauerinnen aber nicht ohne Empfehlungen in den Abend. Er stellt verschiedene Prinzipien vor, die den Umgang mit Smartphone und Co. erleichtern. Darunter das Prinzip des Bühnenbewusstseins, Achtsamkeit und die Selbstbeobachtung: Alles kann öffentlich werden, dessen muss man sich im Klaren sein.

„Wir müssen verantwortungsvoll mit neuen Medien umgehen“, sagt auch EZ-Herausgeberin Christine Bechtle-Kobarg bei der anschließenden Diskussionsrunde. Da die vorgesehene Moderatorin Tanja Keitel kurzfristig ausfiel, übernahm Fohrer diese Aufgabe. Auch im Bankwesen ändere sich durch die Digitalisierung viel, sagt Bankchef Fohrer. „Der persönliche Kontakt bleibt dennoch wichtig.“ Und da kann Pörksen beruhigen: „Es gibt Ur-Sehnsüchte der Menschen, die werden immer bleiben.“ Dazu gehören der persönliche Kontakt und das gesprochene Wort.

Bernhard Pörksen

Bernhard Pörksen wurde 1969 in Freiburg geboren. Er lehrt am Institut für Medienwissenschaften an der philosophischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Zu den zentralen Themen seiner Forschungstätigkeit gehören unter anderem Medienskandale und Kommunikationstheorien. Pörksen studierte Germanistik, Journalistik und Biologie in Hamburg. Er publizierte Essays und Kommentare in diversen Tageszeitungen. Im November 2008 wurde er im bundesweiten Wettbewerb der Zeitschrift Unicum Beruf zum „Professor des Jahres“ gewählt.